Agile Mitbestimmung anstelle von starren Betriebsvereinbarungen mit Lastenheft
Betriebsvereinbarungen wurden und werden häufig wie ein Lastenheft geschrieben – mit möglichst detaillierten Beschreibungen sämtlicher Eventualitäten. Heute legt man fest, was morgen sein wird. Das funktioniert aber längst nicht immer. Die Antwort: Agile Mitbestimmung.
Komplizierte Themen lassen sich per Lastenheft beschreiben
Betriebsvereinbarungen wie ein Lastenheft zu schreiben, funktioniert in der Praxis solange gut, solange das zu regelnde Thema „statisch“ ist. Zum Beispiel Regelungen zu Urlaubsgrundsätzen, zur Betriebskantine oder Personaleinsatzplanung. Inhaltliche Veränderungen sind bei einem solchen „Objekt“ künftig nicht oder nur in geringem Maße zu erwarten. Eine Lastenheft-Betriebsvereinbarung lässt sich daher bei komplizierten Themen also gut umsetzen – mal schneller, mal langsamer. Im Kern ist dieses prozessuale Vorgehen auf dem Weg zu einer Betriebsvereinbarung dabei in den meisten Unternehmen bereits über viele Jahrzehnte eingeübt und scheint zunächst alternativlos.
Komplexe Themen brauchen eine agile Mitbestimmung
Wenn wir beispielsweise an SaaS-Cloud-Lösungen oder andere Software denken, die fast monatlich vom Hersteller mit Updates versorgt werden, kommen Lastenheft-Betriebsvereinbarungen jedoch an ihre Grenzen. Themen mit hoher Komplexität können meist nicht abschließend mit einem Lastenheft vordefiniert werden, weil sich heute der Funktionsumfang von Morgen nicht konkret abbilden lässt. Dieses Dilemma lösen die Betriebsparteien mit einem neuen Ansatz: Agile Mitbestimmung.
Was der Begriff Agilität bedeutet – und was nicht
Durch Hierarchie bestimmte Organisationsstrukturen sind für gewöhnlich stabil, starr. Auf Wandel – beispielsweise durch die Digitalisierung vorangetrieben – können diese klassischen Strukturen nur schwer wettbewerbsfähig reagieren. Agilität, eigentlich ein Begriff aus der Softwareentwicklung, beschreibt die Fähigkeit flexibel und proaktiv auf Veränderungen zu reagieren, außerhalb von starren Silos. Was Agilität nicht bedeutet? Frei, wild und unkoordiniert zu agieren. Auch die agile Mitbestimmung in Unternehmen folgt klaren Regeln und Prozessen. Unterschied jedoch ist das die Nutzenorientierung im Fokus steht.
Agile Mitbestimmung braucht Mut von beiden Betriebsparteien
Agile Mitbestimmung funktioniert nur dann, wenn beide Betriebsparteien auf dem Weg zur Betriebsvereinbarung a.) kooperativ vorgehen und b.) ein neues Verständnis hinsichtlich der Ausgestaltung sinnvoller Vereinbarungen entwickeln.
a) Kooperatives Vorgehen
Ein kooperatives Vorgehen kennzeichnet sich im Wesentlichen dadurch, dass auf gar keinen Fall stumpf eine Mustervereinbarung der anderen Betriebspartei vorgelegt wird oder die Informationen nur sehr zaghaft fließen. Vielmehr ist ein kooperatives Vorgehen durch eine klare Struktur gekennzeichnet, die vorgibt, wie sich die Betriebsparteien gemeinsam einem konkreten Vorhaben nähern.
Dabei ist es von essentieller Bedeutung, dass 1.) die Beteiligungsrechte, zum Beispiel durch eine Tandemschulung, gemeinsam eingeordnet, 2.) Informationen von Anfang an proaktiv und strukturiert verständlich geteilt und 3.) die gegenseitigen Interessen, Zielsetzungen und das konzeptionelle Verständnis beleuchtet werden. Da das Vorhaben selbst interaktiv erarbeitet wird, ist ein adäquates Vorgehensmodell auf Mitbestimmungsebene essentiell.
b) Agile Betriebsvereinbarung
Wenn früher bei IT-Systemen noch einzelne Datenfelder und die Anzahl und Formatierung der Reports geregelt wurden (Lastenheft) so sehen sich die Betriebsparteien immer wieder mit diesem Anspruch bei modernen Cloud-Applikationen vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Bei unverändertem Verständnis hinsichtlich der Ausgestaltung einer Betriebsvereinbarung ist dem wohl auch so. Daher regeln agile Betriebsvereinbarungen zukünftig vermehrt den Kontext und den Nutzwert des einzelnen Themas.
Am Beispiel HCM-Software orientiert sich der Inhalt der Vereinbarung vermehrt an Fragen wie: „Wie gestalten wir Regelungen, dass die Sicherheits- und Zugriffsberechtigungen jederzeit transparent für Arbeitgeber und Betriebsrat sind?“, „Wie gehen wir mit regelmäßigen Softwareupdates um?“, „Zu welchem Zweck sollen bzw. dürfen die Mitarbeiter die Software nutzen?“ oder „Was sind die zu digitalisierenden Geschäftsprozesse und welche Ergebnisse werden dabei erzielt?“ Agile Betriebsvereinbarungen verfolgen demnach einen Anspruch über (möglichst) präzise Zweckbestimmungen ergänzt durch detailliertere Regelungen für besonders sensible Daten. Dies ist keineswegs damit zu verwechseln, dass die Betriebsparteien auf ihre Beteiligungsrechte und -pflichten in Teilen verzichten oder ähnliches. Ganz im Gegenteil: In agilen Betriebsvereinbarungen werden zusätzlich „Vetorechte“ und „Initiativrechte“ definiert. Mit diesen der Betriebsrat entsprechend eines im Vorfeld besprochen und vereinbarten Prozedere bei unerwarteten Auffälligkeiten im Betrieb und ggf. unerwarteten Auswirkungen jederzeit Einfluss auf die Regelungsinhalte nehmen und im Sinne der Mitarbeiter reagieren kann.
Das Interesse an agiler Mitbestimmung ist geweckt? Das Team von Betriebsdialog unterstützt Sie gerne auf dem Weg zu einer kooperativen Mitbestimmung. Kontaktieren Sie uns unverbindlich für einen Kennenlerntermin.