Agilität der betrieblichen Zusammenarbeit – Vom klassischen Verhandlungsprozess zum agilen Mitbestimmungs-Scrum
Das Zusammenarbeitsmodell von Betriebsrat und Arbeitgeber ist häufig geprägt von einer Vielzahl an operativen und strategischen Fragestellungen. Neben diversen personellen Einzelmaßnahmen wie Einstellungen oder Versetzungen (§ 99 BetrVG) nimmt ein erheblicher Teil der Zusammenarbeit die Anwendung der Mitbestimmungsrechte u.a. aus § 87 BetrVG in Anspruch. Vor diesem Hintergrund hat sich im Sprachgebrauch in diesem Kontext die Vokabel „Verhandlung“ etabliert und prägt bewusst oder auch unbewusst häufig das Modell der betrieblichen Zusammenarbeit. Dabei stellt sich für Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen immer häufiger die Frage, ob es nicht auch alternative Wege einer effizienteren und wertschöpfenderen Zusammenarbeit geben kann. Gewissermaßen weg vom klassischen Verhandlungsprozess und hin zum agilen Mitbestimmungs-Scrum.
Verhandelst Du noch – oder gestaltest Du schon?!
Die digitale Transformation stellt Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen vor Herausforderungen. Die Betriebsparteien begegnen einer nahezu exponentiell steigenden Anzahl an mitbestimmungspflichtigen Themen. Dabei ist dies nicht die einzige Herausforderung. Vielmehr werden die Themen selbst immer komplexer – denken wir beispielsweise alleine an den Einzug von künstlicher Intelligenz z.B. in Form von Robotic Process Automation (RPA). Kurz gesagt, der Anspruch die mitbestimmungspflichtigen Sachverhalte „abschließend und umfassend“ in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, scheint immer schwerer zu werden, um den idealtypischen Vorstellungen einer Lastenheft-Betriebsvereinbarung gerecht zu werden. Häufig befinden sich die Betriebsparteien dabei im typischen Verhandlungsprozess gewissermaßen in einer Black-Box. Unter zumeist hohem Zeitdruck müssen Regelungen gefunden und ausgehandelt werden, zu denen oftmals gar nicht vollumfänglich abgesehen werden kann, wie die Mitarbeiter:innen die Regelungsinhalte finden und ob es deren Interessen trifft. Von den Betriebsparteien wird diese Verhandlungssituation häufig als intransparent wahrgenommen und sie wünschen sich einen alternativen Ansatz.
Scrum – als agile Methode und Rahmenwerk der Zusammenarbeit
Insbesondere die moderne Software- und Produkt-Entwicklung greift seit einigen Jahren auf das Vorgehensmodell namens Scrum zurück. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, mit dem Ziel deutlich stärker auf den Kundennutzen, als bei klassischen Projektmanagement zu fokussieren. Scrum eignet sich insbesondere dann, wenn ein wesentlicher Teil der Anforderungen und der Lösungsansätze zu Beginn des Vorhabens noch unklar sind. Diese Unklarheit lässt sich beseitigen, indem Zwischenergebnisse gemeinsam erarbeitet werden. Mittels dieser Zwischenergebnisse – einem interaktiven Vorgehen – lassen sich die fehlenden Anforderungen und Lösungstechniken effizienter finden, als durch eine abstrakte Klärungsphase oder klassischen Verhandlungsprozess.
Mitbestimmungs-Scrum als Vorgehensmodell Lösungen zu finden
Übertragen auf die betriebliche Mitbestimmung lassen sich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten und Parallelen aus dem zuvor beschriebenen Software- und Produkt-Entwicklungs-Kontext feststellen. Dabei liegt der Gedanke nahe, dieses Vorgehensmodell auf die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gewissermaßen zu übertragen – den Mitbestimmungs-Scrum:
Kunden & Anwender: sind die, die das Produkt nach Fertigstellung zur Verfügung gestellt bekommen bzw. das Produkt benutzen. Übertragen auf den Kontext der betrieblichen Mitbestimmung werden typischerweise die Mitarbeiter:innen als Kunden und Anwender definiert. Für sie erarbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat Regelungen – meist Betriebsvereinbarungen – die von den Mitarbeiter:innen dann entsprechend angewendet werden (müssen).
Beteiligte: Das Scrum Framework kennt typischerweise drei Rollen: Product Owner, Entwickler und Scrum Master. Im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung definiert der Product Owner die Zielsetzung des Regelungsgegenstandes (was soll geregelt werden – nicht das wie!). Meist ist dies der Fachbereich, z.B. IT-Abteilung, die eine neue Software einführen möchte. Die Rolle der Entwickler nehmen in aller Regel Vertreter des Arbeitgebers, des Betriebsrats oder auch weitere Mitarbeiter ein. Aufgabe ist es entsprechend der Anforderungen und Interessen bezogen auf den Regelungsgegenstand geeignete Lösungen zu entwicklen. Der Scrum Master sorgt dafür, dass alle Beteiligten im Vorgehensmodell arbeiten können und kümmert sich um die Behebung von Störungen und Hindernissen. Gerade bei der Etablierung des Vorgehensmodells übernimmt die Rolle häufig eine externe bzw. unabhängige Person (z.B. Mitbestimmungslotse)
Klare Rollen und ein effizientes Vorgehen der betrieblichen Zusammenarbeit
Vorgehen / Sprints: Die Entwickler (Vertreter des Arbeitgebers, des Betriebsrats oder auch weitere Mitarbeiter) arbeiten nun in wiederholenden Sprint-Zyklen – Iterationen – an der Entwicklung von geeigneten Lösungsansätzen bzw. Regelungsinhalten für den Regelungsgegenstand. Die Dauer der einzelnen Iterationszyklen sind im Vorfeld fest definiert und finden im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung meist in fest organisierten Arbeitsterminen statt. Insbesondere zu Beginn werden die Arbeitstermine extern begleitet, um die Anwendung der Methodik zu lernen.
Anforderungen: an geeignete Lösungsansätze bzw. Regelungsinhalte werden im Product Backlog fortlaufend durch den Product Owner dokumentiert. Hier werden insbesondere Interessen und Lösungsanforderungen dokumentiert, die die Kunden und Entwickler in den Prozess eingebracht haben. Die Entwickler haben dabei die Aufgabe im Sprint die Anforderungen aus dem Product Backlog zu bearbeiten und Lösungs- und Regelungsinhalte zu erarbeiten.
Agilität: Wir orientieren uns am Mitarbeiternutzen
Die Vorteile des Mitbestimmungs-Scrum liegen auf der Hand. Es ist ein wertschöpfender kooperativer Ansatz, der anstelle des klassischen Verhandelns auf ein gemeinsames Gestalten setzt. Dabei stehen die Interessen der Mitarbeiter:innen (Kunden) kontinuierlich im Fokus. Das Zusammenarbeitsmodell zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfährt gewissermaßen ein Update. Die Betriebsparteien arbeiten nicht mehr getrennt voneinander und sind vielmehr dabei gemeinsame Lösungsmöglichkeiten zu finden und die operative Umsetzung zum Erfolg zu bringen.
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