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Betriebsratswahlen 2022 – 100-Tage-Plan nach der Wahl auf dem Weg zur kooperativen Zusammenarbeit

Zwischen dem 01. März und 31. Mai finden die Betriebsratswahlen statt – alle vier Jahre. Die Zeit ist häufig geprägt von Wahlkampf, den Aktivitäten des Wahlvorstands und unzähligen Formvorschriften aus der Wahlordnung. Aber was passiert eigentlich danach? Vogel-Strauß-Taktik bei den Arbeitgebervertretern? Lagerdenken bei den Betriebsratsmitgliedern? Mit diesem 100-Tage-Plan verpassen die Betriebsparteien nicht die Chance, ihr Unternehmen gemeinsam aktiv zu gestalten.

Betriebsratsarbeit ist relevant für Betriebsräte und Arbeitgeber

Viele Arbeitgeber schauen ungewiss in die Zeit zwischen März und Mai, wenn die Betriebsratswahlen anstehen. Immerhin hat der Betriebsrat wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungs- und Umsetzungsstrukturen in einem Unternehmen – und damit in die Abläufe der Managementebene. Ein Betriebsrat ist ein wichtiger Stakeholder, der ebenso wie Kunden, Lieferanten, Investoren, Gesellschafter und Aktionäre einen mehr oder weniger großen Einfluss auf das Unternehmen ausüben kann. Die Besonderheit im Gegensatz zu den übrigen Stakeholdern: Der Betriebsrat wird demokratisch aus der Mitte der Beschäftigten heraus gewählt und kann sich im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes an den Betriebsgeschehnissen beteiligen und mitbestimmen.

Und ja, in diesem Zusammenhang kann die Betriebsratsarbeit für Betriebsrat und Arbeitgeber eine echte Challenge werden. Aber auch als Chance genutzt werden.

Betriebsrat als echten Stakeholder annehmen

Wird der Betriebsrat erstmalig neu gewählt, wird er von der Arbeitgeberseite oftmals (noch) nicht als echter Stakeholder betrachtet. Frei nach der Vogel-Strauß-Taktik: Erst einmal den Kopf in den Sand stecken. Am Ende führt das zu keinem produktiven Ergebnis. Ganz im Gegenteil: Die betriebliche Mitbestimmung wird konfliktbehaftet und endet regelmäßig – für hohe Kosten – vor der betrieblichen Einigungsstelle.

Umso wichtiger ist es, dass Arbeitgeber die neu gewählten Betriebsratsmitglieder willkommen heißen.

Die bessere Form der Zusammenarbeit ist also, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Es gelten die gleichen Grundregeln wie bei jedem anderen Stakeholder: Sich persönlich kennenlernen und eine (Arbeits-)Beziehung aufbauen. Im direkten Austausch können Arbeitgeber und die neuen Betriebsratsmitglieder transparent die Meilensteine für die kommenden Wochen besprechen und sich auf ein gemeinschaftliches Zusammenarbeiten einstimmen.

Nach der Betriebsratswahl: Ein Plan für die ersten 100 Tage!

Für Politiker und Führungskräfte sind die berühmten ersten 100 Tage wichtig. Auch die ersten 100 Tage von Arbeitgeber und Betriebsrat können als erster großer Meilenstein betrachtet werden. Perfekt läuft es, wenn die Betriebsparteien folgende Teilziele erreichen.

Innerhalb der ersten 30 Tage…

…nach der Betriebsratswahl bereiten sich die Betriebsparteien auf die Zusammenarbeit vor. Der Betriebsrat nimmt seine Amtsgeschäfte auf und stellt sich intern auf – mit einem Betriebsratsvorsitzenden, einem Stellvertreter, Freistellungen und Mitgliedern für die verschiedenen Ausschüsse sowie einem Schriftführer.

Parallel “sortiert” sich die Arbeitgeberseite und bestimmt einen Ansprechpartner sowie Verantwortlichkeiten. Wichtig ist vor allem die Rollenverteilung zwischen der Geschäftsführung, Personalabteilung und ggf. Labor Relations.

Sobald die Betriebsparteien in ihre Rollen gefunden haben, steht ein erster wichtiger persönlicher Austausch an. Bei einem Treffen benennen die Betriebsparteien die jeweiligen Ansprechpartner und bereiten anstehende Regeltermine nach dem Betriebsverfassungsgesetz vor. Idealerweise werden außerdem einige Kommunikationsgrundsätze für persönliche, schriftliche oder anderweitige Kommunikation (Videokonferenzen, etc.) definiert.

In Vorbereitung auf einen ersten gemeinsamen Workshop empfiehlt es sich, dass jede Betriebspartei intern in Klausur geht, um eigene Vorstellungen und Wünsche an die zukünftige gemeinsame Zusammenarbeit zu sondieren. Ziel ist es, einen einheitlichen Meinungsbildungsprozess sowie einen respektvollen Diskurs zu fördern.

Innerhalb der ersten 50 Tage…

…bzw. nach der Vorbereitung folgt ein (erster) gemeinsamer Workshop, um die Vorstellungen, Wünsche und Ziele einer kooperativen Zusammenarbeit zu besprechen und zu definieren. Die Betriebsparteien sollten während des Workshops folgende weitere Zielsetzungen anstreben:

  • Definition gemeinsamer Werte in der Zusammenarbeit
  • Vereinbarung von Prinzipien und Verhaltensweisen, um ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und zu stärken
  • Aufstellung grundlegender Kommunikationsprinzipien
  • Absprache zu Regelprozessen (z. B. von Anhörungen gemäß § 99 BetrVG) sowie Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten
  • Klärung des individuellen bzw. gemeinsamen Bildungsbedarfs in Bezug auf das Betriebsverfassungsgesetz und den Umgang in mitbestimmungspflichtigen Prozessen
  • Terminierung von Gremium- und Ausschusssitzungen (Kalender-Regeltermine)
  • Aufstellung eines Jahreskalenders planbarer Großereignisse (z. B. Betriebsferien, Betriebsversammlungen, Tagungen, etc.)
  • Terminierung eines Retro-Termins wie die Zusammenarbeit in den ersten 4 Monaten erfolgt ist

Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitgebervertreter und Betriebsratsmitglieder nicht nur einmalig zusammentreffen, sondern mindestens für vier Jahre kooperativ zusammenarbeiten dürfen, empfiehlt sich ein Retro-Termin – eine Möglichkeit, rückblickend die Zusammenarbeit (Werte, Verhaltensweisen, Prinzipien) zu bewerten und ggf. Anpassungen vorzunehmen. Einfach gesagt: Feedback geben!

Spätestens nach 50 Tagen sollte es für die Betriebsparteien inhaltlich werden. Um die einzelnen Themen in einem zweiten Workshop zu besprechen, empfiehlt es sich, dass die Betriebsparteien erneut intern in Klausur gehen und für sich die Inhalte besprechen. Hierbei sollten Begrifflichkeiten wie “Arbeitgeberpunkte” oder “Betriebsratsthemen” möglichst vermieden werden. Moderne Mitbestimmung versteht sich zunehmend kundenzentriert. Dabei werden die verschiedenen Themen nach wie vor aus unterschiedlichen Perspektiven des Arbeitgebers bzw. Betriebsrats betrachtet. Der Unterscheid jedoch ist, dass der gemeinsame Fokus von Arbeitgeber und Betriebsrat auf dem “Kunden der Mitbestimmung” liegt – der Mitarbeiter als (interner) Kunde und der tatsächliche (externe) Endkunde, der am Ende das Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens erwerben soll. 

Der zweite Workshop nach den Betriebsratswahlen dient also dazu, die kundenrelevanten Themen für die kommenden Monate zu sammeln und zu priorisieren. Allen Beteiligten ist geholfen, wenn sie den Schwerpunkt auf ein “gemeinsames Gestalten” legen und weniger in einzelnen Lagern denken.

Innerhalb der ersten 100 Tage…

…findet im besten Fall eine gemeinsame Mitarbeiter- bzw. Betriebsversammlung statt, um allen Beschäftigten die Vorhaben und thematischen Schwerpunkte der nun anstehenden Zusammenarbeit vorzustellen.

Mitbestimmung ist eine Wertschöpfung, kein Selbstzweck

Damit es den Arbeitgebervertretern und Betriebsratsmitgliedern gelingt, erfolgreich und kooperativ zusammenzuarbeiten, müssen verschiedene Prinzipien (Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir kommunizieren? Welche Werte sind uns wichtig? Auf welche Tools und Expertisen wollen wir zurückgreifen?) verzahnt werden. In den ersten 100 Tagen nach der Betriebsratswahl ist die beste Zeit, um die Weichen für dieses Vorhaben zu stellen und zu verinnerlichen, dass Mitbestimmung keinem Selbstzweck dient, sondern immer als Wertschöpfung für das ganze Unternehmen zu sehen ist.

Keine Frage, sich dieses hehre Ziel zu bewahren, ist eine schwierige Aufgabe, die beiderseitiges Engagement erfordert. Je umfassender die Anforderungen an die betriebliche Mitbestimmung werden, umso komplexer – und oftmals auch konfliktanfälliger – werden Mitbestimmungsprozesse. Wer mit seinem 100-Tage-Plan einen soliden Grundstein für eine kooperative Zusammenarbeit und ein vertrauensvolles Verhältnis gesetzt hat, begegnet unterschiedlichen Meinungen, Diskursen oder sogar Konflikten konstruktiv und zielgerichtet.

Weniger “Lagerdenken”, weniger “Betriebspolitik”, weniger “Ich”. Mehr “Wir alle”, mehr “Perspektiven”, mehr “Kundenfokus”. Wenn dieser Shift in den Köpfen der Arbeitgebervertreter und Betriebsratsmitglieder gelingt, funktioniert auch eine moderne, kundenzentrierter Mitbestimmung in deutschen Betrieben.