Die Rolle des Betriebsrats im Zuge der Entgelttransparenzrichtlinie und Equal Pay
Der Betriebsrat rückt mit der Entgelttransparenzrichtlinie der EU noch stärker ins Zentrum der Vergütungsfragen. Wo bisher oft vor allem HR und Geschäftsleitung im Fokus standen, wird künftig deutlicher: Equal Pay ist auch ein Mitbestimmungsthema. Die Richtlinie verlangt nicht nur mehr Transparenz, sondern auch klar strukturierte, objektive und geschlechtsneutrale Entgeltsysteme. Genau hier kommt die „Arbeitnehmervertretung“ ins Spiel – also in der Praxis meist der Betriebsrat. Spannend ist dabei weniger die Theorie als die konkrete Frage: Wo muss der Betriebsrat nach Vorstellung der Kommission eingebunden werden – und wo ausdrücklich nicht?
Im weiteren Verlauf schauen wir uns deshalb an, wie Entgeltstrukturen nach Art. 4 Abs. 4 ETRL gestaltet sein müssen und welche Rolle die Arbeitnehmervertretung bei Kriterien, Vergleichsgruppen, gemeinsamen Entgeltbewertungen und Transparenzberichten tatsächlich spielt
1. Ausgangssituation: Entgelttransparenz & Equal Pay
Die Entgelttransparenzrichtlinie (kurz: ETRL) verfolgt ein klares Ziel: gleiche Bezahlung für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit – abgesichert durch Transparenz- und Strukturvorgaben. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis zum 7. Juni 2026 umsetzen. Wesentliche Elemente sind:
- Transparente, objektive und geschlechtsneutrale Entgeltstrukturen
- Auskunftsansprüche der Beschäftigten
- Berichtspflichten für Unternehmen ab bestimmten Beschäftigtenschwellen
- Gemeinsame Entgeltbewertungen bei nicht erklärbaren Entgeltgefällen
- Verstärkte Durchsetzung (Beweislastumkehr, Sanktionen)
All das wird sich deutlich in der betrieblichen Praxis und im Zusammenspiel mit dem Betriebsrat niederschlagen.
2. Entgeltstrukturen nach Art. 4 Abs. 4 ETRL: objektiv, geschlechtsneutral, mitbestimmungsnah
Art. 4 Abs. 4 ETRL verpflichtet Arbeitgeber mit den Arbeitnehmervertretern, Entgeltstrukturen so zu gestalten, dass anhand objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien beurteilt werden kann, ob sich Beschäftigte im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Diese Kriterien können – wo es eine Arbeitnehmervertretung gibt – mit dieser vereinbart werden.
- Maßgeblich sind insbesondere die vier Kriterien: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen
- Weitere, arbeitsplatzspezifische Faktoren können hinzukommen, sofern sie objektiv und geschlechtsneutral sind
- Die Kriterien müssen einheitlich angewandt, nachvollziehbar dokumentiert und vergleichbar gemacht werden
3. Wer ist überhaupt „Arbeitnehmervertretung“?
Der Abschlussbericht der Expertenkommission zur Umsetzung der Richtlinie hat die Frage „Wer ist die Arbeitnehmervertretung?“ ausdrücklich adressiert – und dabei unterschiedliche Auffassungen sichtbar gemacht:
- Mehrheitsmeinung der Kommission:
- „Arbeitnehmervertretung“ ist – auch in tarifgebundenen Betrieben – die betriebliche Vertretung: Betriebsrat / Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat, Personalrat, Sprecherausschuss oder kirchliche Mitarbeitervertretung
- Nicht „Arbeitnehmervertretung“ i. S. d. Richtlinie: die Gewerkschaft (Beteiligung aber freiwillig möglich).
- Gespaltene Lösung (Minderheitenposition):
- In tarifgebundenen Betrieben: Arbeitnehmervertretung = Gewerkschaft
- Ohne Tarifbindung: Arbeitnehmervertretung = betriebliche Vertretung
Spannend ist zudem: Besteht kein Betriebsrat, empfiehlt die Kommission nur, dass Arbeitnehmervertreter für diese Zwecke benannt werden können. Es soll keine Pflicht zur Schaffung neuer Organe oder zur Einschaltung staatlicher Stellen bzw. externer Sachverständiger geben. Für die Praxis bedeutet das: In der weit überwiegenden Zahl der Fälle wird – nach dem Bild der Kommission – der Betriebsrat die maßgebliche Arbeitnehmervertretung sein, wenn es um Entgeltstrukturen und Equal Pay geht.
4. Wann ist der Betriebsrat / die Arbeitnehmervertretung zu beteiligen?
In der Entgelttransparenzrichtlinie lassen sich drei wesentliche Beteiligungsfelder unterscheiden – zwei „echte“ Beteiligungsfelder und ein Bereich mit eher reduzierter Rolle:
4.1 Mitwirkung „im Kern“: Kriterien & Vergleichsgruppen
Die Arbeitnehmervertretung soll nach Ansicht der Kommission insbesondere beteiligt werden:
- Bei der Festlegung der Kriterien nach Art. 4 Abs. 4 ETRL: also bei der Definition der objektiven, geschlechtsneutralen Entgeltkriterien (Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen inkl. Unterkriterien).
- Bei der Bestimmung der Arbeitnehmergruppen nach Art. 3 Abs. 1 lit. h) ETRL: sprich bei der Bildung von Vergleichsgruppen für gleiche oder gleichwertige Arbeit (z. B. Funktionsgruppen, Jobfamilien, Entgeltbänder).
4.2 Gemeinsame Entgeltbewertung
Die Entgelttransparenzrichtlinie sieht zudem vor, dass die Arbeitnehmervertretung bei der Festlegung und Durchführung der gemeinsamen Entgeltbewertung zu beteiligen ist.
Der Hintergrund:
- Zeigt ein Entgelttransparenzbericht ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle von mindestens 5 %, das nicht innerhalb von sechs Monaten korrigiert werden kann, muss eine gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung durchgeführt werden (Art. 10 ETRL)
- Diese Bewertung ist nicht nur „Zahlenkosmetik“, sondern ein strukturiertes Verfahren, um Ungleichheiten zu identifizieren und Abhilfe zu planen
Für den Betriebsrat ist das ein Gestaltungsinstrument, um:
- systematische Schieflagen aufzudecken (z. B. in Einstiegsgehältern, Bonuslogiken, Zulagen)
- Abhilfemaßnahmen mitzuverhandeln (z. B. Anpassung von Gehaltsbändern, Nachsteuerung von Zielsystemen, Korrektur von Bewertungsfaktoren)
4.3 Eher zurückhaltende Rolle: Berichte & Bewertung von Entgeltunterschieden
Die Kommission schlägt bewusst vor, die Arbeitnehmervertretung nicht in alle Transparenzprozesse voll einzubinden:
- Nicht empfohlen: Beteiligung bei der Erstellung der Entgelttransparenzberichte
- Die Arbeitnehmervertretung soll kein „Mit-Autor“ der Berichte sein
- Vorgesehen ist nach den Empfehlungen lediglich ein Recht, zur Richtigkeit der Angaben angehört zu werden
- Ebenfalls nicht empfohlen: Beteiligung bei der Beurteilung geschlechtsspezifischer Entgeltunterschiede
- Hier soll die Arbeitnehmervertretung vor allem informiert werden, nicht aber verbindlich mitentscheiden
Damit zieht die Kommission eine Linie: Der Betriebsrat soll vor allem dort eingebunden sein, wo Strukturen definiert und Bewertungen systematisch vorgenommen werden, weniger bei der operativen Berichtsproduktion und der rechtlichen Wertung von Ergebnissen.
5. „Enge Zusammenarbeit“ – kein neues Mitbestimmungsrecht
Die Entgelttransparenzrichtlinie verlangt eine „enge Zusammenarbeit“ mit der Arbeitnehmervertretung. Nach der Kommission ist das kein echtes Mitbestimmungsrecht im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.
Das bedeutet: Die Richtlinie erzwingt keine neuen Mitbestimmungstatbestände nach § 87 BetrVG; verlangt jedoch ein hohes Niveau an Information, Anhörung und konstruktiver Zusammenarbeit.
In der deutschen Praxis wird diese „enge Zusammenarbeit“ praktisch auf bestehende Beteiligungstatbestände aufsetzen, etwa:
- § 80 BetrVG: allgemeine Überwachungs- und Initiativrechte des Betriebsrats, insbesondere bzgl. Gleichbehandlung
- § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG: Mitbestimmung bei Entgeltgrundsätzen und leistungsbezogenen Entgelten
- §§ 92 ff. BetrVG: Beteiligung bei Personalplanung, Einstufung, Auswahlrichtlinien
Mit anderen Worten: Die Richtlinie selbst schafft kein neues „Super-Mitbestimmungsrecht“, verstärkt aber die Bedeutung der bereits vorhandenen.
6. Was heißt das konkret für Betriebsrat und Arbeitgeber?
6.1 Für den Betriebsrat
Der Betriebsrat sollte die Umsetzung der ETRL proaktiv als Projekt begreifen:
- Bestandsaufnahme im Betrieb
- Wie sind Entgeltstrukturen und -systeme heute aufgebaut (Tarif, Haustarif, Betriebsvereinbarungen, Einzelverträge)?
- Wo gibt es bereits analytische Bewertungsansätze (z. B. Stellenbewertungssysteme)?
- Mitreden bei der Definition der Kriterien
- Darauf achten, dass die vier Kernkriterien vollständig und ernsthaft berücksichtigt werden – insbesondere Belastungen und Arbeitsbedingungen
- Sensibilisieren für mittelbare Diskriminierungen, z. B. durch Teilzeitnachteile oder Boni-Strukturen
- Vergleichsgruppen kritisch prüfen
- Hinterfragen, ob Frauen- und Männerdomänen unbewusst getrennt gehalten werden
- auf nachvollziehbare, transparente und überprüfbare Gruppenzuschnitte drängen
- Gemeinsame Entgeltbewertung nutzen
- Teilnahme an der Planung und Durchführung der Bewertung bei auffälligen Entgeltgefällen (≥ 5 %)
- Darauf achten, dass Abhilfemaßnahmen konkret und terminiert vereinbart werden – idealerweise in Betriebsvereinbarungen
- Strategische Positionierung
- Schulungen zu Equal Pay, Entgelttransparenz und analytischer Arbeitsbewertung einfordern
- Frühzeitig eine Gesamtstrategie für betriebliche Vergütungsstrukturen mit entwickeln
6.2 Für Arbeitgeber
Auch aus Arbeitgebersicht ist klar: Das Thema wird nicht „weggehen“. Praxisbeiträge aus Beratung und Wissenschaft weisen darauf hin, dass Unternehmen gut daran tun, jetzt zu handeln – unabhängig vom genauen Gesetzestext.
Konkrete Schritte:
- Datenbasis schaffen: vollständiger Überblick über alle Entgeltbestandteile (fix, variabel, Sachleistungen, Abfindungen, etc.)
- Bewertungssystem entwickeln: analytische Bewertung von Funktionen/Positionen
- Betriebsrat einbinden: frühzeitige, strukturierte Gespräche über Kriterien, Vergleichsgruppen und Verfahren
- Berichtspflichten vorbereiten: Prozesse und IT-Systeme so aufstellen, dass die künftigen Berichts- und Auskunftspflichten erfüllbar sind
- Rechtliche Risiken minimieren: Entgeltstrukturen so gestalten, dass sie im Streitfall tragfähig begründet werden können.
Fazit
Die Entgelttransparenzrichtlinie ist mehr als ein Reporting-Projekt. Sie greift tief in die Grundstruktur der Entgeltfindung ein – und genau dort hat der Betriebsrat seine natürliche Beteiligung. Art. 4 Abs. 4 ETRL macht objektive, geschlechtsneutrale und nachvollziehbare Kriterien zur Pflicht – idealerweise unter Beteiligung der Arbeitnehmervertretung. Die Kommission verortet diese Beteiligung vor allem bei der Festlegung der Kriterien und Vergleichsgruppen sowie der gemeinsamen Entgeltbewertung bei auffälligen Entgeltgefällen. Gleichzeitig macht sie klar: „Enge Zusammenarbeit“ ist kein neues vollwertiges Mitbestimmungsrecht, verstärkt aber die Rolle der bestehenden betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte.
Für Arbeitgeber und Betriebsräte ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich fachlich zu rüsten, strategische Positionen aufzubauen und konstruktive Lösungen mitzugestalten.
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