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IT-Rahmenbetriebsvereinbarung und IT-Mitbestimmung

Schon 1972, mit Inkrafttreten der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), erließ der Gesetzgeber eine Regelung über mitbestimmungspflichtige technische Einrichtungen. Rund ein halbes Jahrhundert später gewinnt der dazu eingeführte § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sowie die häufig einhergehende IT-Rahmenbetriebsvereinbarung an immer größerer Bedeutung – und werfen vielfältige Fragestellungen sowohl bei Betriebsräten als auch Arbeitgebern auf.

Digitalisierung fordert Betriebe zum Umdenken

In den letzten 50 Jahren hat die Digitalisierung viele Bereiche in Unternehmen verändert. Einiges ist einfacher geworden – wie die interne Kommunikation oder der Zugang und die Archivierung von Daten. Anderes ist komplexer geworden – wie etwa die Einführung von vielschichtigen digitalen Prozessen mittels Cloud-Lösungen und die damit verbundene Betriebsvereinbarung.

Wo gestern noch wenige IT-Systeme den Betriebsalltag unterstützten und die Komplexität der technischen Einrichtungen niedrig war, sodass deren Einführung mittels Lastenhefte vereinbart werden konnte, gibt es heute kaum Betriebsbereiche, die nicht digitalisiert sind – denkt man nur einmal an Cloud-Lösungen wie Microsoft 365, SalesForce oder die vielfältigen Mitarbeitermanagement-Systeme wie beispielsweise Workday oder SuccessFactors.

Vor diesem Hintergrund stellt die IT-Rahmenbetriebsvereinbarung bereits seit vielen Jahren eine Möglichkeit, die Betriebe nutzen, um die vielfältigen Sachverhalte im Kontext der IT-Mitbestimmung strukturiert zu regeln. Die Idee ist, rechtliche Aspekte als Rahmen zu definieren, innerhalb dessen die Betriebsparteien später die tatsächlichen Themen besprechen und vereinbaren.

Unter anderem sind folgende klassische Regelungsinhalte sinnvoll und üblich:

  • Begriffsdefinitionen und Regelungsgegenstand
  • Grundsätze der Datenverarbeitung
  • Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses
  • Einschränkung möglicher Verhaltens- oder Leistungskontrollen
  • Rechte der Mitarbeiter (Betroffenenrechte nach der DSGVO)
  • Grundsätze zur Befähigung der Nutzer
  • Rechte des Betriebsrats

Moderne IT-Rahmenbetriebsvereinbarungen entlasten die Betriebsparteien und wahren Mitbestimmungsrechte

In der Praxis zeigt sich jedoch vermehrt die Herausforderung, dass trotz vorhandener klassischer IT-Rahmenbetriebsvereinbarung die Betriebsparteien an ihre Grenzen kommen. Häufige Ursache hierfür ist, dass die Rahmenvereinbarungen selbst nach wie vor von dem Grundsatz der Lastenheftregelung ausgehen. Je höher der Komplexitätsgrad der einzuführenden Softwarelösungen ist, umso großer ist daher auch weiterhin die Herausforderung für die Betriebsparteien Regelungen innerhalb des Rahmens zu definieren, die dem ursprünglichen Ansatz des Lastenheftes gerecht werden und die Mitbestimmungsrechte wahrt. Vor diesem Hintergrund gilt es die klassische Rahmenvereinbarung zu ergänzen – durch das prozessuale Vorgehen vor und während des Betriebs von IT-Lösungen im Unternehmen. Betriebsrat und Arbeitgeber erhalten mit derlei modernen Rahmenvereinbarungen ein praktikables Vorgehensmodell für alle künftigen IT-Systeme.

Die Kernaspekte einer modernen Rahmenbetriebsvereinbarung für IT-Systeme:

  1. Zeitliches Vorgehen bei der Neueinführung

Häufig erscheint der Mitbestimmungsprozess bzw. das Beteiligungsverfahren zur Einführung von neuen und zumeist auch komplexen Software-Lösungen für die Betriebsparteien wie eine Black-Box. Daher empfiehlt es sich, gewissermaßen einen Mustervorgang in der IT-Rahmenbetriebsvereinbarung zu definieren. Wie wird eine frühzeitige und umfassende Information des Gremiums sichergestellt? Wie können die Grundsätze von „umfassend“ und „frühzeitig“ praktisch – insbesondere bei der Einführung von Cloud-Lösungen – gelebt werden, bei denen die finale Konfiguration sich zumeist erst während des Projektes klärt? Ein eindeutig strukturierter Prozess sowie der Einsatz von Checklisten erleichterten eine beherrschbare und transparente Abstimmung und Gestaltung der Regelungsinhalte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Nicht zuletzt empfiehlt sich gerade bei der Einführung von für beide Betriebsparteien gleichermaßen unbekannte IT-Lösungen eine gemeinsame Tandemschulung als obligatorische Kick-Off-Veranstaltung.

  1. Definition und Klassifizierung nach Sensibilitätsstufen

Software-Lösung ist nicht gleich Software-Lösung. Daher ist es sinnvoll, die IT-Systeme anhand von Merkmalen zu klassifizieren – um bestimmen zu können, welches IT-System in welchem Umfang zusätzlich regelungsbedürftig ist. Haben sich die Betriebsparteien zu einer grundsätzlichen Systematik verständigt, existiert ein klares Bild der möglichen Ergebnistypen für die Regelungsinhalte (Umfang und Tiefe der Regelung sind abhängig von den Sensibilitätsstufen). Als Sensibilitätskriterien können hierzu beispielsweise im Sinne der betrieblichen Mitbestimmung die Anwendung zum Zwecke einer Leistungs- und Verhaltenskontrolle, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bis hin zu einer automatisierten Entscheidungen einschließlich Profiling im Sinne der DSGVO Art. 22 herangezogen werden.

  1. Regelungen zur Vorgehensweise bei Upgrades: Dynamische Weiterentwicklung und Vetorecht

Software-Lösungen werden früher oder später mit Updates versorgt. Hierzu empfiehlt es sich, einen Prozess über den Umgang mit vorhersehbaren und unerwarteten Änderungen (Dynamik) im Betrieb der Software zu konkretisieren. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass vor allem bei Cloud-Lösungen vielfältige Möglichkeiten einer potentiellen Leistungs- und Verhaltenskontrolle bestehen, sind die Betriebsparteien gut beraten, einen Veto-Prozess sowie entsprechende Reaktionsmöglichkeiten in der Rahmenvereinbarung für den Betriebsrat vorzusehen. Dabei ist es nicht unüblich bewusst zwischen organisatorischen und technischen Maßnahmen zu unterscheiden. Technisch meint, dass im Falle eines Vetos kritische bzw. strittige Funktionalitäten der Software deaktiviert werden (z.B. einzelne Dienste bzw. Sub-App-Funktionalitäten). Leider ist dies technisch nicht immer möglich bzw. in der Software umsetzbar. Daher sollten alternative organisatorische Regelungen evaluiert werden (z.B. abgestimmte Kommunikation von Betriebsrat und Arbeitgeber an die Mitarbeiter, dass einzelnen Funktionen oder Features aktuell nicht zugestimmt wurde und die Funktionalität restriktiv zu verwenden ist, bis eine tragbare Lösung gefunden wurde).

  1. Meinungsverschiedenheiten durch unabhängigen Sachverständigen lösen

Führen die vereinbarten Regelungen zu IT-Systemen zu Meinungsverschiedenheiten, empfiehlt sich die Etablierung einer innerbetrieblichen Schlichtungsstelle durch einen unabhängigen, von beiden Betriebsparteien akzeptierten Sachverständigen, der nicht nur bei dem konkreten Hindernis hilft, sondern grundsätzlich bei innerbetrieblichen Klärungs- und Lösungsprozessen unterstützt und somit den Ansatz der Tandemschulung auch nach der Softwareeinführung als Lösungsprozess vorsieht. #Mitbestimmungslotse

  1. Fokus auf Zweckbestimmung der ergänzenden Regelungen

Werden für die einzelnen Software-Lösungen ergänzende Regelungen zur IT-Rahmenbetriebsvereinbarung aufgenommen, sollten diese vorrangig einen zweckbestimmten Fokus haben sowie spezifische technische und organisatorische Regelungen zum Umgang mit der Software beinhalten – beispielsweise Vereinbarungen zu Funktionen und Geschäftsprozessen sowie detailliertere Regelungen für besonders sensible Datenarten ggf. ergänzt durch Negativ‐bzw. Ausschlussregelungen.

 

Für die Betriebsparteien lohnt es sich aus zwei Gründen, Zeit in eine moderne Rahmenbetriebsvereinbarung für IT-Mitbestimmung und IT-Systeme zu investieren: 1. Sie schaffen Compliance im Hinblick auf bestehende Betriebsvereinbarungen für IT-Systeme. 2. Sie schaffen sich eine eigene „Muster“-Rahmenvereinbarung, die über die üblichen Standardregelungen hinausgeht und für alle künftigen IT-Themen genutzt werden kann.

Das Interesse an einer modernen IT-Rahmenbetriebsvereinbarung ist geweckt? Das Team von Betriebsdialog unterstützt Sie gerne auf dem Weg einer kooperativen Gestaltung. Kontaktieren Sie uns unverbindlich für einen Kennenlerntermin.