Die Weiterentwicklung des IT-Fachausschusses – IT-Mitbestimmung
In zahlreichen Betriebsratsgremien ist es gängige Praxis, für das Thema IT-Mitbestimmung einen speziellen Fachausschuss gemäß § 28 BetrVG einzusetzen. Dessen Zuständigkeit ergibt sich in der Regel aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, der die betriebliche Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen regelt, die zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten geeignet sind.
Was auf dem Papier nach einer sauberen Arbeitsteilung aussieht, birgt in der Praxis allerdings zunehmend strukturelle Herausforderungen – und die sind längst nicht nur technischer Natur.
Geteilte Expertise – entlastend oder isolierend?
Das Prinzip ist zunächst sinnvoll: Nicht alle Mitglieder eines Betriebsrats müssen sich tiefgehend mit komplexen digitalen Themen befassen. Stattdessen übernehmen spezialisierte Ausschussmitglieder diese Aufgaben. Einige wenige Betriebsratsmitglieder entwickeln Expertise, sorgen für die notwendige Tiefe in der Bewertung von IT-Vorhaben und halten die übrigen Mitglieder auf dem Laufenden.
So weit, so gut. Doch in vielen Gremien geht diese Arbeitsteilung mit einer gewissen Entfremdung einher: IT wird – bewusst oder unbewusst – „ausgelagert“ an eine kleine Gruppe von Spezialist*innen. Für alle anderen bleiben Technikthemen abstrakt, sperrig oder schlicht unattraktiv. Das führt nicht nur zu einer Schieflage im Wissensstand innerhalb des Gremiums, sondern auch zu einer mangelhaften Einbindung in Entscheidungsprozesse.
Zudem orientieren sich viele Fachausschüsse in ihrer Struktur weiterhin strikt an einzelnen Mitbestimmungsrechten: Es gibt einen Personalausschuss für die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 BetrVG), einen Bildungsausschuss für die Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen (§ 98 BetrVG), einen Kantinenausschuss für die Mitbestimmung bei Sozialeinrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG) und so weiter. In der Theorie schafft das Übersichtlichkeit. In der Praxis führt diese Einteilung aber zunehmend zu Reibungsverlusten.
Wenn Paragrafen nicht mehr greifen
Moderne IT-Systeme halten sich nicht an Paragrafengrenzen. Sie sind fast immer hybrid – technisch, organisatorisch, prozessbezogen. Ein digitales Learning Management System (LMS) etwa betrifft nicht nur die Bildung (§ 98 BetrVG), sondern auch den Datenschutz (§ 80 BetrVG), die Leistungs- und Verhaltenskontrolle (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), ggf. Arbeitszeitregelungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) und das Qualifizierungskonzept (§§ 96 ff. BetrVG).
Oder nehmen wir ein digitales Tool zur Urlaubsplanung: Auch hier sind neben rein organisatorischen Aspekten (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG) Fragen der Zugriffsrechte, Transparenz und der Überwachung von Verhaltensdaten (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) zu klären.
Hier beginnt das Dilemma: Fachausschüsse, die entlang einzelner Rechtsvorschriften organisiert sind, geraten in Konflikt mit einer Realität, in der kaum ein Digitalisierungsvorhaben einseitig zu betrachten ist. Stattdessen beschäftigen sich mehrere Ausschüsse mit demselben Projekt – jeder aus „seiner“ Perspektive.
Die Folge: doppelte Sitzungen, redundante Diskussionen, Zeitverluste. Oder, im schlimmsten Fall, widersprüchliche Bewertungen.
Neue Rolle und Aufgaben des IT-Ausschusses
Statt den IT-Ausschuss zum Nadelöhr für alles Digitale zu machen, braucht es ein neues Selbstverständnis. Seine Rolle entwickelt sich weiter – vom operativen Regulierer zum strategischen Navigator. Das bedeutet:
- Governance-Funktion: Entwicklung von IT-Grundsätzen, Leitlinien, Rahmenvereinbarungen,
- frühzeitige Einflussnahme: Beteiligung bei Digitalprojekten bereits in der Planungsphase (§ 90 BetrVG),
- Orientierung: Identifikation relevanter Themen aus der Digitalstrategie des Unternehmens,
- Qualifizierung: Vermittlung von IT- und KI-Verständnis im Gremium – nicht nur als Wissensträger, sondern als Coach,
- Schnittstelle: Koordination zwischen Ausschüssen, Arbeitgeber und ggf. externen Sachverständigen.
So wird aus einem reaktiven Ausschuss eine proaktive Steuerungsinstanz.
Themen statt Paragrafen – ein neues Modell
Ein zukunftsfähiger Ansatz ist die Umstellung der Ausschussstruktur: weg von der Orientierung an „Mitbestimmungsparagrafen“, hin zu themenzentrierten Fachausschüssen. Diese arbeiten entlang von konkreten Regelungsgegenständen – wie „digitale Arbeitszeiterfassung“, „mobiles Arbeiten“, „Cloud-gestützte Personalarbeit“, „Künstliche Intelligenz im Recruiting“ oder „Plattformsteuerung und Monitoring“.
Diese Ausschüsse erhalten das Mandat, alle relevanten Mitbestimmungsrechte zu prüfen und anzuwenden. Das Ergebnis: gebündeltes Wissen, ganzheitliche betriebliche Mitbestimmung und ein realistisches Abbild dessen, wie Beschäftigte diese Systeme erleben – nämlich nicht parzellenartig, sondern integriert.
Vorteile dieser Struktur:
- Ganzheitlichkeit: Fokus auf den Sachverhalt – nicht nur auf „Mitbestimmungsparagrafen“,
- Effizienz: Vermeidung von Doppelarbeit, bessere Zeitausnutzung,
- Kohärenz: weniger Widersprüche, klarere Verhandlungslinien,
- Beteiligung: Einbindung der richtigen Akteure im richtigen Moment.
Klare Prozesse und starke Beteiligung
Ein solches Modell funktioniert nur mit definierten Prozessen. Dazu gehören:
- Verfahrensvereinbarungen: Welche Kriterien entscheiden über die Ausschusszuordnung? Wer hat die Federführung? Wie wird abgestimmt?
- Wissenstransfer: Regelmäßiger Austausch zwischen themenbezogenen Ausschüssen und dem IT-Ausschuss zur strategischen Einordnung.
- Qualifizierungsstrategie: Alle Gremienmitglieder brauchen ein gesundes Grundverständnis von Digitalisierung und IT-Mitbestimmung.
- Unterstützung durch Sachverständige: Wo notwendig, sollte externer Input frühzeitig eingebunden werden.
Ein Wort zur Qualifizierung
Digitale betriebliche Mitbestimmung verlangt mehr als technische Kenntnisse. Es geht um prozessuales Denken – welche Aktivitäten sollen mittels des IT-Systems zu welchem Zweck abgebildet werden? Schulungskonzepte sollten daher interdisziplinär aufgestellt sein: Grundlagen von IT-Systemen, Datenschutzrecht, Betriebsverfassung, aber auch kommunikative Fähigkeiten im Umgang mit Fachabteilungen.
Gleichzeitig braucht es informelle Lernräume: gegenseitige Hospitation, internen Wissensaustausch, gemeinsame Ausschusssitzungen. So entsteht ein kollektives digitales Selbstverständnis – als Basis für jede betriebliche Mitbestimmung im 21. Jahrhundert.
Perspektive: Mitbestimmung im Konzern – hybride Strukturen als Chance
Auch in Konzern- und Gesamtbetriebsratsstrukturen bietet das thematische Modell neue Perspektiven. Bisher kam es häufig zu (Zuständigkeits-)Spannungen, wenn zentrale Systeme auf Konzernbetriebsrats-Ebene beschlossen wurden, aber die Auswirkungen vor Ort lagen.
Themenbezogene Ausschüsse mit Beteiligung örtlicher Vertreter – z. B. im Rahmen von temporären hybriden Besetzungen aus rein örtlichen und Gesamtbetriebsrats/Konzernbetriebsrats-Vertreter*innen – ermöglichen hier frühzeitig Rückkopplung, erhöhen die Transparenz und machen betriebliche Mitbestimmung schlagkräftiger.
Das erfordert klare Entscheidungsprozesse, aber es stärkt die Legitimation zentraler Entscheidungen und die Qualität der Umsetzung in den örtlichen Betrieben. Es geht um gemeinsame Perspektiven – nicht um Zuständigkeitskonflikte.
Fazit
IT-Mitbestimmung ist kein Nischenthema. Sie ist Querschnittsaufgabe – genauso wie Datenschutz, Gleichstellung oder Nachhaltigkeit. Wer sie auslagert oder isoliert betrachtet, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Wer sie aber strategisch integriert, Ausschussstrukturen neu denkt und Kompetenzen breit aufstellt, gewinnt an Schlagkraft, Übersicht und Gestaltungsfähigkeit.
Digitalisierung ist kein Tsunami – sie ist gestaltbar. Mit Haltung, mit Wissen, mit klaren Verfahren – und mit einer starken, gut aufgestellten betrieblichen Mitbestimmung.
Betriebsräte haben es in der Hand, diesen Wandel aktiv zu begleiten und ihre Strukturen vorausschauend weiterzuentwickeln. Die Betriebsratswahl 2026 bietet eine konkrete Gelegenheit, bis dahin Konzepte und Kompetenzen zu bündeln, um die digitale Transformation auch aus Sicht der Beschäftigten erfolgreich mitzugestalten.
Wenn Ihr Fragen zu strategischer IT-Mitbestimmung oder zu moderner Gremienorganisation habt – meldet Euch gern. Ein Austausch lohnt sich immer. Marco Holzapfel
Handlungsempfehlung für Betriebsräte
- Ausschussstruktur überdenken: Ist die derzeitig gelebte Struktur noch geeignet für die hybriden Realitäten der Digitalisierung?
- Themenräume schaffen: Identifiziert gemeinsam im Gremium, welche digitalen Themen im Betrieb aktuell oder in naher Zukunft eine zentrale Rolle spielen – seien es mobile Arbeitsformen, neue Tools für Personalsteuerung, KI-Anwendungen oder digitale Qualifizierungsplattformen. Für diese Themen können thematisch fokussierte Ausschüsse etabliert werden, die mit einem klaren Mandat ausgestattet werden – anstelle einer Zersplitterung entlang einzelner Paragrafen. Dabei ist es wichtig, auch die Beschäftigtenperspektive aktiv einzubeziehen: Was wird als entlastend, was als überwachend empfunden? Welche Sorgen und Erwartungen gibt es?
- Strategie entwickeln: Digitalisierung im Betrieb ist längst kein reines IT-Thema mehr, sondern ein integraler Bestandteil der Arbeitskultur. Der Betriebsrat sollte sich als strategischer Akteur in diesem Wandel positionieren. Entwickelt mit Blick auf die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens eine eigene „Mitbestimmungsstrategie IT“ – abgestimmt auf die Besonderheiten Eures Hauses. Und: Die kommende Betriebsratswahl 2026 wirft bereits ihre Schatten voraus. Sie bietet einen idealen Anlass, bis dahin tragfähige Strukturen zu entwickeln, strategische Rollen zu schärfen und über eine Neujustierung der Ausschussarbeit nachzudenken – um diese dann in der neuen Amtszeit zielgerichtet und wertschöpfend umzusetzen.
- Kompetenz aufbauen: Die beste Struktur nützt wenig, wenn das notwendige Wissen fehlt. IT-Kompetenz ist heute eine Schlüsselqualifikation für betriebliche Mitbestimmung. Das bedeutet nicht, dass alle zu IT-Experten werden müssen – aber ein Grundverständnis zu Datenflüssen, Systemarchitekturen, KI-Logiken, Datenschutz und Governance-Prinzipien sollte im Gremium breit verankert sein. Nutzt externe Schulungen, aber schafft auch interne Lernräume: Peer-Learning, Tandems, interne Austauschformate oder gemeinsame Sitzungen zwischen thematischen Ausschüssen und dem IT-Ausschuss. Digitalisierung ist Teamarbeit – auch im Betriebsrat.
- Verfahren vereinbaren: Einheitliche, transparente und klare Prozesse der betrieblichen Mitbestimmung sichern nicht nur Qualität, sondern auch Vertrauen – im Gremium wie gegenüber dem Arbeitgeber. Eine Verfahrensvereinbarung sollte festlegen, wie hybride Projekte bewertet, zugeordnet und begleitet werden, wer wann wie eingebunden wird und wie Informationsflüsse zwischen Ausschüssen sichergestellt sind.