Vom Verhandeln zum Gestalten – Interview mit Marco Holzapfel
Im Rahmen der diesjährigen DGFP // Jahrestagung.digital „Mitbestimmung 4.0“ wurde ich im Vorfeld interviewt. Ich freue mich sehr die Inhalte auch hier zu teilen. Los gehts:
Marco Holzapfel (Betriebsdialog) besetzt mit seiner Dienstleistung eine absolute Nische: Er tritt erst in Aktion, wenn er von Betriebsräten und Personalmanagerinnen und Personalmanagern zugleich beauftragt wird, um schwierige Situationen zu lösen. In 7 Fragen in 7 Minuten erklärt er uns, wie er auf dieses Alleinstellungsmerkmal gekommen ist, wie er seine Arbeit gestaltet und was er sonst niemanden erzählt.
Wenn Sie Ihren Job mit einem anderen Beruf vergleichen würden, welcher wäre das?
Marco Holzapfel: Eheberater (lacht). Der Grund dafür ist in der Nische zu sehen, die ich mit meiner Dienstleistung besetze. Normalerweise positionieren sich Beratungen für die Seite des Betriebsrats oder die Arbeitgeberseite. Hintergrund ist die Berufsordnung für Rechtsanwälte, nach der Anwälte immer nur eine und nie konträre Seiten zugleich beraten dürfen. Beratungen haben sich entsprechend dieser Logik aufgestellt. Wenn es allerdings schwerwiegende Probleme gibt und sich beide Betriebsparteien verkanten, ist das einzige verbindende Element der Einigungsstellenvorsitzende. Das sind meist externe Richter:innen, die am Ende über den Sachverhalt entscheiden können. Ich selbst kenne aus meiner Karriere beide Seiten und war zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Organisationen sowohl Personalleiter als auch im Betriebsrat tätig, und habe mich irgendwann gefragt: Warum ist das eigentlich so? Warum gibt es eine verbindende Dienstleistung erst im Falle des verhärteten Konflikts? Warum gibt es das nicht viel früher? Und genau diese Nische habe ich mit meinem Dienstleistungsangebot besetzt. Ich begleite beide Seiten zeitgleich in Veränderungsprozessen und schalte mich auch nur ein, wenn ich tatsächlich von beiden Seiten ein Mandat erhalte. Vor diesem Hintergrund wird mir oft gespiegelt, ich sei wie ein Eheberater.
Was sind die häufigsten Ursachen, dass sie als Berater hinzugezogen werden?
Holzapfel: Das sind im Wesentlichen zwei Themenfelder: Das erste ist weniger sachinhaltlich, und vielmehr auf der Beziehungsebene zu verorten. Wenn die Betriebsparteien nämlich feststellen, dass eine Form der Zusammenarbeit gewachsen ist, mit der sie unzufrieden sind und diese als dysfunktional erleben. Aber auch wenn der gemeinsame Wunsch nach Weiterentwicklung und Professionalisierung der Zusammenarbeit besteht, unterstütze ich Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen. Das andere sind fach- und sachinhaltliche Fragestellungen rund um § 87 das Betriebsverfassungsgesetz. Gut die Hälfte der Themen belegt dabei sicherlich das Feld der IT-Mitbestimmung sowie Digitalisierung im Unternehmen. In all diesen Themen fungiere ich als gemeinsamer Sachverständiger, Prozessbegleiter und allparteiischer Moderator und helfe, eine faire, ausgewogene und wertschöpfende Betriebsvereinbarung auf den Weg zu bringen. Beide Themenfelder bediene ich entlang den unterschiedlichen Reife- und Entwicklungsgraden – sprich mal ganz von Beginn an, sozusagen noch vor dem Kick-Off des eigentlichen Vorhabens, mal werde ich in laufende Projekte hinzugezogen und mal komme ich kurz vor oder während der Einigungsstelle hinzu. Das Ganze nenne ich „Mitbestimmungslotse“.
Welchen Praxistipp gibst du besonders gerne?
Holzapfel: Bezogen auf die eben genannten Themenfelder sind das zwei Dinge. Erstens: dass sich die beiden Betriebsparteien bewusst und mit Aufmerksamkeit über ihr Zusammenarbeitsmodell verständigen und es kein Zufallsmodell sein darf. Meiner Ansicht nach ist es äußerst ratsam, wenn sich die Beteiligten rund alle sechs Monate gemeinsam hinsetzen und eine Retrospektive zur individuell erlebten Zusammenarbeit durchführen und dabei Prinzipien für die weitere Zusammenarbeit bewusst besprechen und vereinbaren. Zweitens: Wenn die Betriebsparteien erkennen, dass neue oder für die Beteiligten noch unbekannte Themen vor der Tür stehen – denken wir beispielsweise an den Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Hier zeigt sich in der Praxis ein hoher Mehrwert, wenn die Parteien sich einen gemeinsamen Sachverständigen hinzuziehen, der sie auf dem noch unbekannten Terrain lotst. Die unterschiedlichen Perspektiven können und sollen dabei natürlich im Prozess einfließen – das ist ja gewissermaßen die Würze. Aber in solchen Projekten müssen erstmal die gemeinsamen Basics geschaffen werden. Die Verständigung über das Modell der Zusammenarbeit sowie ein Common Ground über Sachverhalte sind beides Merkmale eines wertschöpfenden Verständnisses moderner betrieblicher Mitbestimmung.
Was möchtest du den Teilnehmenden mit ihrem Case bei der DGFP-Veranstaltung zur Mitbestimmung 4.0 auf den Weg geben?
Holzapfel: Was mir besonders wichtig ist und auch in den vorherigen Punkten schon deutlich wurde, betrifft die Art und Weise im Umgang mit betrieblicher Mitbestimmung. In der Regel sprechen die Betriebsparteien im Hinblick auf Ihre Arbeitstreffen und Termine von „Verhandlungen“. Ich habe mit der Vokabel grundsätzlich kein Problem, aber ich denke es ist produktiver, erst einmal in ein gemeinsames Verstehen einzusteigen und an der Erwartungshaltung anzusetzen. Im Zentrum eines modernen und wertschöpfenden Gestaltungsprozesses sollte immer zuerst der Kunde der Mitbestimmung stehen! Mit Kunde meine ich im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung die Beschäftigten aber auch die Endkunden eines Unternehmens. Diese Einstiegsperspektive kann helfen, um einen gemeinsamen Gestaltungsprozess zu starten und nicht in einer Gewinner-/Verlierer-Logik zu verhaften. Es macht viel mehr Sinn, den (Mitbestimmungs-)Prozess nicht als Pokerspiel zu begreifen, in dem jeder versucht, seine Karten verborgen zu halten, um „gegen“ den anderen zu gewinnen, sondern das Ganze eher als Puzzlespiel aufzufassen, in dem ein gemeinsames Bild mit Wertbeitrag für den Kunden der Mitbestimmung entsteht. Getreu dem Motto „Verhandelst du noch oder gestaltest du schon“, darf Mitbestimmung keinesfalls zum Selbstzweck zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verkommen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden sie mit Blick auf das Thema der betrieblichen Mitbestimmung und HR ändern?
Holzapfel: Ich habe sogar zwei Wünsche: Gerade wenn ein neuer Betriebsrat auf den Arbeitgeber zukommt, ist es aus meiner Sicht wichtig, dass sich die Arbeitgeberseite viel intensiver mit der Idee der betrieblichen Mitbestimmung auseinandergesetzt und die Zusammenarbeit unter den Vorzeichen eines Stakeholder Ansatzes verortet. Arbeitgeber sollten also nicht eine Antihaltung einnehmen und Mitbestimmung als notweniges Übel ansehen, sondern als Gewinn betrachten und auch mit dieser Haltung Teil der Entwicklung einer wertschöpfenden Mitbestimmungskultur im Unternehmen sein. Auf der anderen Seite wünsche ich mir auch von Betriebsräten, gerade wenn sie sich neu bilden, dass sie sich von Anfang an § 2 des Betriebsverfassungsgesetz orientieren und immer beides im Blick behalten: das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes – also den Kunden der Mitbestimmung. Das sind meine beiden Wünsche, denn dann würde vieles wertschöpfender funktionieren.
Wenn ich in meiner Karriere eines gelernt habe, ist es …
Holzapfel: Dass es nicht die eine Wahrheit gibt. Das habe ich ehrlicherweise erst vor gut zehn Jahren gelernt. Ich bin eher naturwissenschaftlich – geprägt von Physik und Mathematik aufgewachsen. Deswegen habe ich auch immer geglaubt, es gibt nur die eine Wahrheit. Während meiner Ausbildung zum Wirtschaftsmediator habe ich dann gelernt, dass es sowas wie „die eine Wahrheit“ nicht gibt. In jeder Unterhaltung entstehen unterschiedliche Perspektiven und somit Wahrheiten einer Situation.
Was fast niemand über mich weiß, …
Holzapfel: Die meisten sind überrascht, wenn sie mich in Präsenz sehen und feststellen, dass ich 2,03 Meter groß bin. Etwas, das vielleicht wirklich niemand über mich weiß: Ich bin bei Lego hängen geblieben und liebe das. Einmal im Quartal baue ich auf jeden Fall so ein Set zusammen (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Elias Güthlein.