Betriebsvereinbarung Entlohnungsgrundsätze – Vergütungsordnung § 87 I Nr. 10 BetrVG
Hohe Inflationsraten, extrem steigende Energie- und Lebensmittelpreise, Inflationsprämie und gestiegener Mindestlohn: U.a. diese Faktoren sowie die Tatsache, dass wir uns in einem Arbeitnehmermarkt befinden, führt zwangsläufig vermehrt in den Betrieben zur Frage, ob der einzelne Mitarbeiter eine faire Vergütung für seine Arbeitsleistung erfährt. Insbesondere in Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind bzw. sich nicht an einem Branchentarifvertrag orientieren, sind aus Sicht der Beschäftigten die Arbeitgeber und die Betriebsräte zunehmend gefordert, betriebliche Entlohnungsgrundsätze – der betrieblichen Lohngestaltung – gemeinsam zu entwicklen und transparent gegenüber der Belegschaft darzustellen.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Als Grundlage für die eigenverantwortliche Entwicklung entsprechender Entlohnungsgrundsätze hat der Gesetzgeber im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung ein umfassendes Mitbestimmungsrecht in § 87 I Nr. 10 BetrVG geregelt. Konkret bedeutet dies, dass Fragen der betrieblichen Lohngestaltung der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen, soweit die Angelegenheit nicht durch einen Tarifvertrag geregelt ist (§ 77 Abs. 3 BetrVG). In der Praxis umfasst das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates die Festlegung sämtlicher kollektiver und abstrakter Regelungen für die Entlohnung bzw. Entgeltfindung. Hierzu gehören typischerweise die Festlegung von:
- Entgeltgruppen; zumeist mittels einer analytischen Form der Stellenbewertung (Grading)
- Festlegung von Orientierungszielgehältern oder Gehaltsbändern (Spannweite eines Minimum- und Maximumentgeltes innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Stellen)
- Bonusmodelle und Prämiendefinitionen
- Prinzipien zu individuellen und kollektiven Entgelterhöhungsrunden
- Grundsätze über die Gewährung und Verteilung von Zulagen
Die Mitbestimmung des Betriebsrates soll hierbei im wesentlichen auf eine Entgeltgerechtigkeit und faire Differenzierung abzielen. Aus diesem Grund ist eine mitbestimmungsrechtliche Relevanz immer dann gegeben, wenn der Arbeitgeber für die Mehrzahl (kollektiver Sachverhalt) an Arbeitnehmern eine Leistung mittels eines bestimmtes Budgets vorsieht. Achtung: Das Mitbestimmungsrecht umfasst jedoch nicht die direkte Festlegung der konkreten Höhe der Entgelte, denn über die Entgelthöhe kann der Arbeitgeber grundsätzlich mitbestimmungsfrei entscheiden. Er allein entscheidet, wie viel Geld er zur Vergütung seiner Arbeitnehmer insgesamt (den sogenannten „Dotierungsrahmen“) zur Verfügung stellt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beginnt erst dort, wo es um die Verteilung der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel (Budget) geht.
Ergänzend ist an dieser Stelle anzumerken, dass Arbeitgeber zusätzlich mit Arbeitnehmern auch individuelle Vereinbarungen (arbeitsvertragliche Einzelvereinbarung, die individuell auf die Person des Arbeitnehmers zugeschnitten sind) über eine bestimmte Vergütung treffen können. Diese unterliegen mangels eines kollektiven Sachverhaltes nicht dem Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs.1 Nr.10 BetrVG.
Prozedere zur Festlegung betrieblicher Entlohnungsgrundsätze
Beabsichtigen Arbeitgeber und Betriebsrat betriebliche Entlohnungsgrundsätze gemeinsam zu entwickeln und festzulegen (zumeist mittels einer „Betriebsvereinbarung Entlohnungsgrundsätze“) wird empfohlen, das Vorhaben entlang von drei Schritten umzusetzen:
1. Initialisierung
a) Arbeitgeber und Betriebsrat sollten zunächst die gegenseitigen Erwartungen und insbesondere auch die der Beschäftigten mittels einer Ziel- und Interessenformulierung erarbeiten. Hierbei wird bereits zu erkennen sein, dass es einer gemeinsamen Klärung der relevanten fachspezifischen Vokabeln und deren Definitionen (u.a. Funktion, Job-Family, Rolle, Job-Description, Grade, Laufbahnen) bedarf, um im weiteren Projektverlauf Missverständnisse vorzubeugen.
b) In einem weiteren Schritt gilt es gemeinsam die Anforderungen an das heutige bzw. zukünftig zu etablierende Laufbahnkonzept, die Entwicklunsgpfade (z.B. Fach-, Führungs- oder Projektlaufbahn) sowie die generellen Anforderungen aus dem Aufbau der Organisation (Linienorganisation, Matrixorganisation, Agile-Organisation z.B. mittels Product-Teams) zu klären.
c) Ist diese Grundlage gelegt, gilt es das Prozedere der eigentlichen Stellenarchitektur (z.B. Job Level, Jobtitel-Definitionen, Jobfamilien & -kategorien) sowie die konkrete Methodik zur Stellenbewertung festzulegen. Dies erfolgt zumeist mittels der Bewertung der Anforderungen eines konkreten Arbeitsplatzes als Ganzes (summarische) oder entlang definierte Einzelfaktoren (analytisch), z.B. mittels spezifischer Kompetenzen und Anforderungen.
2. Konkretisierung
a) Wurden insbesondere das Prozedere der Stellenarchitektur und der Stellenbewertung festgelegt, erfolgt die praktische Umsetzung. Hierzu werden zunächst sämtliche Stellen entlang der zuvor definierten Kriterien beschrieben, bewertet und daraufhin in einer Bewertungsstruktur – häufig innerhalb von Job-Familien (Sales, IT, Finanzen, etc.) – verortet.
b) Im nächsten Schritt gilt es die Vergütungskomponenten entlang der Bewertungsstruktur (Grade-Struktur) vorzunehmen. Dies erfolgt zumeist mittels einer differenzierten Ableitung von Vergütungsgruppen aus der zuvor erarbeiteten Bewertungsstruktur (Grade-Struktur). Anders formuliert: jeder Bewertungsstufe werden Vergütungskomponenten zugeordnet und es wird somit definiert, was der Arbeitgeber bereit ist für die erbrachte Arbeit zu zahlen. In der Regel erfolgt diese Zuordnung mittels Gehaltsbändern – Spannweite eines Minimum- und Maximumentgeltes innerhalb einer (Vergütungs-)Gruppe. Bei der initialen Festlegung der Gehaltsbändern greifen die Betriebsparteien typischerweise auf interne Daten (Ist-Vergütungsstruktur), externe Benchmarks (z.B. Tarifverträge) und oder Anforderungen durch Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt zurück.
c) Neben der Festlegung der Grundentgelte (Base) werden im folgenden Schritt meist die Prinzipen und Grundsätze für weitere variable und flexible Entgeltbestandteile definiert bzw. den einzelnen Grades zugeordnet und Grundprinzipien für zukünftige individuelle und kollektive Entgelterhöhungsrunden fixiert.
3. Vereinbarung und Anwendung
Die Einführung von betrieblichen Entlohnungsgrundsätzen bedarf neben des regelmäßigen Abschluss einer entsprechenden „Betriebsvereinbarung Entlohnungsgrundsätze“ ebenso eines sorgfältig vorbereiteten Kommunikations- und Befähigungsprozederes durch Arbeitgeber und Betriebsrat. Häufig verbringen Arbeitgeber und Betriebsrat einige Monate mit der gemeinsamen Gestaltung der Entlohnungsgrundsätze und übersehen, dass der einzelne Beschäftigte die Thematik weniger aus der kollektiven bzw. gesamtheitlichen Perspektive betrachtet, sondern naturgemäß aus der Einzelperspektive – was bedeutet das für mich persönlich? Und ist das aus meiner Perspektive fair? Umso wichtiger ist es, dass die Betriebsparteien die Einführung von Entlohnungsgrundsätzen zielgruppenspezifisch aufbereiten und transparent erläutern.
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